Entstehung von Sportarten
Sport und Spiele sind seit vielen Jahrtausenden in der menschlichen Kultur verankert. Die ältesten Formen des Sports und der Leibesübungen haben fast immer einen kultischen Ursprung. Schnelligkeitswettbewerbe und Kräftemessen bei kultischen und religiösen Festen sind ebenso überliefert, wie Tänze um Götter zu besänftigen oder um Fruchtbarkeit, Ernte, Wetter... zu beeinflussen. Diese Formen von Leibesübungen und Sport sind als Grundlage eigentlich in jeder Region der Erde zu finden. Kampf- und Ringspiele, Geschicklichkeitsübungen und Wettstreite sind Bestandteil von Festivitäten oder Jagd- und Kampfvorbereitungen in fast allen Kulturen. Es gibt verschiedene Gründe, warum ein Sport in einem Kulturkreis ein beliebter Sport ist und auch verändert sich diese Vorliebe durch verschiedene Ereignisse ständig. Die Entwicklung weiterer Sportarten und Spielformen hing zumeist von Religion, Gegebenheiten der Umgebung ab und von Zufällen ab. So wurden Wettspiele mit Booten (Kanu) nur in der Umgebung von Gewässern praktiziert. Wintersport konnte natürlich nur in Gegenden entstehen, in denen es kalt genug war. Der Basketballsport zeigt den zufälligen Siegeszug einer Sportart. Er wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts erfunden. Ein junger Lehrer einer kanadischen Schule suchte für den Winter ein Trainingsspiel für die Football- und Baseballspieler. Hockey und Badminton sind beispielsweise Ballsportarten, die im asiatischen Raum schon sehr lange beliebt und bekannt waren, doch erst nachdem sie in England aufgegriffen wurden, Regeln und Verbände gebildet wurden, etablierten sie sich richtig.
Weitere Einflussfaktoren für die Entstehung und Verbreitung von Sportarten: Medien, Vorbilder, Tradition
Zu vielen Zeiten der Geschichte war der politische Gesichtspunkt (Kriege, propagandistisch genutzte Sporterfolge) für die Förderung und Existenz von Sportarten ausschlaggebend. Im neuen Jahrtausend kam mit den Medien ein weiterer, Sportart bildender und fördernder und einflussreicher Faktor hinzu. Paradebeispiel ist die Sportart Fußball, in großen Staaten wie Russland, USA, Indien und China sowohl im Breiten- wie auch im Leistungssport über Jahrzehnte hinweg unbedeutend, hat dort und in der ganzen Welt nun vor allem durch das Fernsehen einen viel größeren Stellenwert erreicht.
Ein weiteres wichtiges Kriterium zum Entstehen und dem Erhalt einer Sportart sind Spitzensportler, Mannschaften und Ausnahmetalente eines Landes, die zum Nachahmen animieren und die eine hohe Identifikation hervorrufen. Beispiele sind Badmintonspieler in Indonesien, Läufer in Kenia oder Hockeyspieler in Pakistan. Diese Identifikation wird durch die Medien natürlich noch verstärkt.
Auch Tradition und bestehende Strukturen haben wichtigen Einfluss auf Sportarten. Das zeigt sich wenn neben einigen sehr bekannten, in den Medien global präsenten Sportarten, kulturspezifische Spiele und Wettbewerbe in einzelnen Regionen ebenso populär sind, obwohl sie dem Rest der Welt fast gänzlich unbekannt sind. Europäer, die bei den Asienspielen dem Sepah Tahkraw (einem rasanten Spiel, das mit einem geflochtenen Ball auf einem Badmintonfeld gespielt wird) oder Kabbadispiel (einem Fangspiel) beiwohnen, werden sich wahrscheinlich erstaunt die Augen über die in Asien traditionell verankerten Sportarten reiben. Ein in Europa bekannteres Beispiel ist eine exotische Sportart wie Kricket, die sich nach wie vor großer Beliebtheit in den Traditionsländern erfreut. Nicht nur vermeintlich exotische Sportarten können eine Tradition haben. In Litauen ist z.B. das Basketball Volksport Nr.1, was sich nicht zuletzt darin gezeigt hat, dass Litauen vor kurzem die Basketballeuropameisterschaft gewonnen hat.
Verschiedene Philosophien und Ausführungen des Sports
Durch die olympischen Spiele und andere Formen des Leistungssports, die Massenmedien, weltumspannende Sportorganisationen und einen leichteren Austausch auf globaler Ebene könnte der Sport in den nächsten Jahren eine Art „Weltkultur“ entwickeln. Diese Entwicklung wird von verschiedensten Strömungen und Einflüssen auf der ganzen Welt geleitet. Die Tradition spielt dabei oft eine ähnlich wichtige Rolle wie das Fernsehen oder die bei den großen Werbefirmen unter Vertrag stehenden Stars. Verschiedenste Philosophien und Sportverständnisse werden darauf Einfluss haben. Ansätze des asiatischen Sportverständnisses - einer auf die ganze Existenz des Menschen zielende Körperkultur - werden bei verschiedensten Sport- und Gesundheitsangeboten aufgenommen. Die Idee einer von der Jugend über Entwicklungsstufen bis ins hohe Alter abgestimmte Leibesertüchtigung ist im asiatischen Raum tief verwurzelt. Der Kampf- und Wettkampfgedanke hier erst durch den Einfluß des westlichen Sportverständnisses Anfang des 20. Jahrhunderts eingeführt. Kampfkunst und Sport gilt und galt eher als Weg der Selbstfindung und Selbsterfahrung. Ethischer Anspruch, angemessenes Handeln stehen im Vordergrund: Nicht Sieg oder Niederlage sind das eigentliche Ziel, sondern die Entwicklung und Entfaltung der eigenen Persönlichkeit durch Selbstbeherrschung, Konzentration, Selbstdisziplin, Körperbeherrschung und -wahrnehmung. Die Körperwahrnehmung und der Gesundheitsaspekt spielen auch im Islam eine wichtige Rolle. Oft führt die Unwissenheit über den Islam besonders im Umgang mit Muslima zu Berührungsängsten. Sport ist im Islam grundsätzlich erlaubt und auch erwünscht - selbst im traditionellen Sinn. Der Koran ermutigt zu Sportarten wie Schwimmen, Bogenschießen und Reiten. Hier spielt vor allem der Gedanke der Verteidigung (Bogenschießen), Flucht (Reiten) oder der Vermeidung von Gefahr (Ertrinken) eine Rolle. M. I. Schaqura (Der Sport im Islam, 1983) zitiert eine Stelle des Korans, bei der eine Frau und ein Mann ein Wettrennen bestreiten. In den meisten islamischen Ländern gilt aber heute, dass die Geschlechter getrennt voneinander Sport treiben. Sport ist ausdrücklich in gewissen Formen erwünscht. Der Körper wird als Leihgabe Allahs betrachtet, mit der behutsam umgegangen werden muss. Sport im anregenden, erhaltenden und gesundheitsfördernden Sinne ist erbeten, solange die durch Religion vorgeschriebenen Richtlinien nicht berührt werden. Davon betroffen sind in manchen Bereichen der Leistungssport, da dort dem Körper teilweise geschadet wird und alle Sportarten, bei denen die Kleidervorschriften missachtet werden. Für streng gläubige Muslime sind diese Kleidervorschriften bindend.
Ansätze zur Arbeit im Verein
Die spezifischen Eigenheiten verschiedener Kulturkreise ermöglichen Anregungen und Austauschmöglichkeiten, die eine Bereicherung für die Vereinsarbeit darstellen können.
Beispiel: Viele Teilnehmer aus Integrationsprojekten stammen als Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion. Daher ist es sinnvoll sich mit dem dortigen Sportverständnis auseinanderzusetzen: Animiert durch die vielen Spitzensportler, die auch aus politischen Gründen in der alten Sowjetunion ausgebildet wurden, hat der Sport auch im neuen Russland immer noch einen hohen Stellenwert. Traditionell beliebt sind durch das Klima bedingt die Wintersportarten Eislauf, Eiskunstlauf und Eishockey. Ballsportarten Volleyball und Basketball werden viel und erfolgreich praktiziert, der Fußball und Tennis hat sich durch erfolgreiche Athleten in den letzten Jahrzehnten ebenfalls etabliert. Der Kampfsportbereich ist die mit der Entwicklung des Sambos, einer ursprünglich für die Rote Armee entwickelte Kampftechnik sehr beliebt. Diese Kampfsportform erfreut sich auch bei den in Deutschland lebenden Spätaussiedlern großer Beliebtheit. Hat man nun als Verein die Möglichkeit, artverwandte Sportarten (Eishockey - Inlinehockey, Sambo - Judo) anzubieten, oder mit noch besser mit Spätaussiedlern selbst Angebote wie Sambo zu etablieren, kann dies die Arbeit und das Gewinnen von Mitgliedern erleichtern.
Veränderungen müssen aber nicht zwangsläufig nur in der Aufnahmekultur entstehen, auch die Gruppen der fremden Kultur können traditionelle Normen und Regeln ergänzen oder ersetzen. Wichtig sind die Beachtung von grundsätzlichen, aus verschiedenen Gründen nicht oder nur schwer veränderbarer Regeln (z.B. durch Religion). Gespräche über Werte, Ziele und Bedürfnisse sind unerlässlich und wichtig, ebenso wie das Einigen auf Regeln, die durchaus erst in einem gemeinsamen Konsens entstehen können.
Autor: Jens Hoffmann
Redaktionelle Betreuung: Richard Keiner, Andi Mündörfer (Deutsche Sporthochschule Köln)