Verschmelzung auf Eis

Wintersport spielt für „Integration durch Sport“ eine Nebenrolle - notgedrungen. Allein Spätaussiedler zeigen daran größeres Interesse. Besonders an Eishockey.

Eishockey ist bei Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion populär. (Foto: pictur-alliance)
Eishockey ist bei Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion populär. (Foto: pictur-alliance)

Viele Einheimische, erzählt Evgeny Nikitevich, nennen ihn „Eugen“. Das sei einfacher. Der vor fünf Jahren spätausgesiedelte Diplomsportlehrer ist Trainer und organisatorischer Kopf der Ravensburg Gladiators. Der 2010 gegründete Eishockeyverein besteht aus ungefähr 25 Mitgliedern, die auch das vorläufig einzige Team bilden. Es tritt als Hobbymannschaft in der Ravensburger Hockey-Liga (RHL) an und umfasst neben russischen und kasachischen Spätaussiedlern zwei Tschechen und den ein oder anderen Nichtmigranten. 

Das oberschwäbische Kufen-und-Kelle-Projekt ist kennzeichnend für das Verhältnis zwischen Menschen mit Migrationshintergrund und Wintersport, wie es sich im Programm „Integration durch Sport“ spiegelt. Grundsätzlich gibt es wenige Stützpunktvereine mit Wintersportabteilungen und noch weniger spezifische Projekte. Auch in den Landeskoordinationen Bayerns und Baden-Württembergs, wo Ski- und Eissport vergleichsweise stark organisiert sind, taucht das Thema selten auf - die meisten Disziplinen setzen relativ hohe soziale respektive wirtschaftliche Zugangsschwellen (Stichwort Ausrüstung) und sind in der Heimat vieler Migranten, etwa der Türkei, nicht verwurzelt. Die Länder der ehemaligen Sowjetunion bilden diesbezüglich eine Ausnahme. Folgerichtig geht das Gros der Wintersportinitiativen von Menschen dieser Herkunft aus. 

Kufen verbinden 

Tatsächlich findet winterliche Programmarbeit vor allem auf Eis statt – und mehrheitlich in eigens gegründeten Vereinen. So verhält es sich zum Beispiel beim Eisschnelllaufclub Dynamo Frankfurt/Main, 2002 entstandener Stützpunktverein des Programms, und so verhält es sich im Eishockey. Das Mannschaftsspiel gibt Zugewanderten aus Russland und seinen Nachbarnationen Gelegenheit, sozialen Anschluss zu gewinnen, und sei es (zunächst) an Ihresgleichen. Die Ravensburg Gladiators zum Beispiel stehen seit einiger Zeit in Kontakt mit der baden-württembergischen Landeskoordination, ein Ausbau der Beratungsleistung ist beschlossen. 

In Niederbayern ist man einige Jahre voraus. Dort hat sich Dynamo 2000 Dingolfing etabliert, mit Unterstützung des Programms und angetrieben unter anderem von Martin Laubhan. Als Kind hat er Eishockey in Kasachstan kennengelernt, als Mittzwanziger, längst nach Deutschland ausgesiedelt, entdeckte er den Spaß daran wieder. Mit Gleichgesinnten fand er sich zu einer Gruppe, die 2003 den Verein gründete. „Wir sind hauptsächlich Spätaussiedler – wieder“, sagt er und erzählt eine Geschichte. „Bis 2008 waren wir der einzige hiesige Verein in der Bezirksliga. Damals sind viele Nachwuchsspieler vom EV Dingolfing zu uns gewechselt, weil sie eine offiziellee Runde mit Punktspielen bestreiten wollten. 2008 hat der EVD deshalb selber ein Team für die Bezirksliga gemeldet. Daraufhin sind viele dieser Spieler zurückgegangen und wir mussten aussteigen, weil unser Kader zu klein war.“ Doppelt bitter: Auch der EVD beendete die Saison nicht, aus dem gleichen Grund. 

Dynamo Dingolfing spielt heute in der verbandsunabhängigen Kreisliga. Seit einigen Jahren kommt der Verein ohne IdS aus. Laubhan sieht auch die kulturelle Integration erreicht, unabhängig von der Zahl gebürtiger Deutscher im etwa 25-köpfigen Team (zwei, drei kommen regelmäßig). „Bei uns ist Herkunft total egal, wir hatten auch schon Spieler mit polnischem oder serbischem Hintergrund.“ Man sei seit zwölf Jahren in der Eishalle. „Die Einheimischen sagen, da sind die Dynamos, das sind unsere Leute'.“ 

Er selbst ist auch Jugendtrainer beim Nachbarn EV, sein Sohn schlägt dort den Puck. Der Aufbau einer eigenen Nachwuchsabteilung ist gescheitert. Dynamo hatte durch Werbung in Schulen und Kindergärten 60 Teilnehmer für einen Schnupperkurs gewonnen, aber die Trainingszeit war eine Zumutung. Eine Stunde. Samstags. Um 6 Uhr 45. Man ahnt: „Die Kinder wollten lieber ausschlafen.“ 

Die Trainingszeit ist knapp 

Das Problem mit den Hallenzeiten kennt man in Ravensburg. Die Gladiators trainieren meistens sonntags zwischen 22 und 23.45 Uhr. Und gelegentlich zu besseren Terminen in Wangen, dort aber im Freien. Beides wäre keine Dauerlösung für Jugendteams. Der Verein will eine Nachwuchsabteilung gründen – schon weil „fast alle Spieler ein oder zwei Kinder haben“, so Evgeny Nikitevich. 

Er selbst war einst stellvertretender Leiter einer Eishockey-Sportschule in Nowosibirsk. Als Teil eines ausgebildeten Trainerteams betreute er etwa 400 Kinder. In dieser Hinsicht wäre also reichlich Kompetenz vorhanden, um eine Mannschaft zunächst der Fünf- bis Sechsjährigen aufzubauen, wie es die Gladiators vorhaben. Die Schwierigkeit liegt, jenseits der Halle, vor allem in mangelnder Kenntnis der sportlichen und bürokratischen Strukturen – der Punkt, an dem die Beratung durch „Integration durch Sport“ ansetzt. 

Das Übergewicht der Spätaussiedler ist auch in Ravensburg nicht gezielt entstanden, sondern hat sich ergeben. Nikitevich hält es zwar für wichtig, Jugendlichen ex-sowjetischer Herkunft gezielt anzusprechen, „weil sie eine etwas andere Mentalität haben“. Aber die Gladiators folgen der Idee der Vielfalt ebenso wie ihr Trainer. Jeden Montag in Friedrichshafen leitet Evgeny Nikitevich eine integrative Fußballgruppe, in der Jungs deutscher, italienischer, russsischer und anderer Herkunft spielen. Und zwei Mädchen. 

(Quelle: DOSB / Nicolas Richter)


  • Eishockey ist bei Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion populär. (Foto: pictur-alliance)
    Eishockey ist bei Zuwanderern aus der ehemaligen Sowjetunion populär. (Foto: pictur-alliance)