Was ist geblieben?

Deutschland schafft sich ab: Wie hat Thilo Sarrazins steile These im IdS-Umfeld gewirkt? Eine Umfrage gewährt bedingt Klarheit – und gibt Einblicke in die Kluft zwischen Theorie und Praxis.

Ein Jahr nach der Sarrazin-Debatte scheint Normalität zurückgekehrt zu sein. (Foto: picture-alliance)
Ein Jahr nach der Sarrazin-Debatte scheint Normalität zurückgekehrt zu sein. (Foto: picture-alliance)

Sarrazin? Ja, Sarrazin. Über ein Jahr nach dem Ersterscheinen von „Deutschland schafft sich ab“ (August 2010) hat sich die Debatte um das Buch medial beruhigt. Gelegenheit hinzuhören, was Integrationsarbeiter(innen) aus dem Sport über Sarrazins Thesen und ihre Wirkung zu sagen haben. Die DOSB-Integrationsbeauftragte Ebru Shikh-Ahmed äußert sich ebenso wie zwei Vereinsvertreter aus Berlin - die Hauptstadt der Diskussionen - und eine Landeskoordinatorin von „Integration durch Sport“. Natürlich wird hier keinerlei repräsentativer Anspruch erhoben. Dennoch, die Vorbereitung der Umfrage hat die Sensibilität des Themas deutlich gemacht; in angeregten Gesprächen, auch in manch freundlicher Absage. Festzuhalten ist zudem: Abgeschafft ist Deutschland vorläufig nicht.

Die Fragen:

1. Wie haben Sie persönlich Sarrazins Thesen und die Debatte darum wahrgenommen und wie schätzen Sie ihren Einfluss ein vor dem Hintergrund Ihrer eigenenIntegrationsarbeit?  

2. Welche Wirkung hatten Buch und Debatte in Ihrem sportlichen Umfeld? 

Die Antworten: 

Ebru Shikk-Ahmad, Dreifache Karate-Europameisterin und Integrationsbotschafterin des DOSB:

Betreff: Persönliche Wahrnehmung

Ehrlich gesagt habe ich das Buch nicht gelesen. Was ich gehört habe, hat mich nicht interessiert, und der Genetik-Ansatz hat mich abgeschreckt. Ich habe Herrn Sarrazin erst nicht ernst genommen, aber dann hat mich die ganze Diskussion verwirrt und besorgt. Für mich war Integration nicht leicht, ich habe mich gegen meine Eltern stellen müssen und mich hochgearbeitet. Da verletzt es, wenn unterstellt wird, Türken oder Moslems wollten sich nicht integrieren. Natürlich gibt es solche Menschen, aber das ist immer so - in Antalya gibt es auch ein Deutschen-Viertel. Außerdem fühlen sich diese Menschen durch solche Aussagen nur bestätigt. Sie denken dann, dass sie sowieso nicht akzeptiert werden, egal was sie tun. Als DOSB-Integrationsbotschafterin war das eine schwere Zeit für mich. Ich war es irgendwann auch leid, mich zu rechtfertigen. Mensch, was soll ich sagen – ich bin in dritter Generation hier! 

Betreff: Einfluss im Umfeld

Ich sehe einen großen Unterschied zwischen dem Sport und dem „normalen“ Leben. In der Nähe meines Wohnorts in Franken gibt es eine rechtsextreme Szene, aber die meisten Deutschen, die mich auf das Thema angesprochen haben, fanden Sarrazins Aussagen aufhetzend und beschämend für das Land, vor allem nach der tollen WM 2006. Manche haben auch gesagt, es sei nicht alles falsch, was er geschrieben habe. Die Menschen im Sport haben Sarrazin nicht so ernst genommen, da gab es wenig Diskussion. In unserer Karateschule unterhält man sich auch über das Kopftuchtragen – aber ohne Aggressivität, weil ein Verständnis da ist. Denn im Sport hat jeder die gleichen Gefühle, zum Beispiel wenn er nicht mehr kann. Da ist Herkunft unwichtig. 


Gerd Thomas, 2. Vorsitzender beim IdS-Stützpunktverein FC Internationale Berlin:

Betreff: Persönliche Wahrnehmung

Ich habe das Buch nicht gelesen, kenne aber einige „Thesen“. Es war auffällig, wie viele Menschen diesen Genetik-Unfug gelesen haben. Auch wenn Herr Sarrazin bei uns im Verein wohl wenig Mitstreiter fände, gehe ich davon aus, dass er nicht zuletzt in Fußballvereinen viele Fans hat. Es ist ja nicht so, dass die Berliner Fußballplätze Horte permanenter Gemütlichkeit wären. Gerade wenn es mal wieder um Gewalt oder Spielabbrüche geht, sind viele Leute schnell dabei, pauschal alle „Ausländer“ der Gewaltbereitschaft zu bezichtigen und das „südliche Temperament“ zu bemühen. Vorverurteilungen sind im Fußball leider nichts Neues. Schon früher hieß es über einige Mannschaften: „Die haben das Messer im Stutzen.“ Man muss das nicht alles ernst nehmen, aber auch nicht beschönigen. Der Rassismus ist in der Mitte der Gesellschaft nicht erst angekommen, er ist dort fest verankert.

Betreff: Einfluss im Vereinsumfeld

Bei uns im Verein wurde das durchaus diskutiert. In der Regel mit dem Tenor: „Für die Debatte brauchten wir Herrn Sarrazin nicht.“ Zu pauschal, zu platt, zu rassistisch. Natürlich diskutieren wir auch immer wieder über das Zusammenleben und den gegenseitigen Respekt. Ich finde aber, das funktioniert wirklich gut beim FC Internationale, weil hier alles so normal ist. Meinungsverschiedenheiten haben wir auch, aber in der Regel um sportliche Dinge. Ich selbst habe eine Mannschaft mit Kindern unterschiedlichster Wurzeln aufwachsen sehen, seit sie sechs Jahre alt waren. Was sich hier an Freundschaften entwickelt hat, ist einfach toll. Bei Inter zählen nicht die Schulabschlüsse, Hautfarben, Sprachprobleme oder Nettoverdienste der Eltern. Hier spielen die Kinder miteinander Fußball, streiten, freuen sich und am liebsten gewinnen sie gemeinsam. Das ist alles ganz einfach. Man muss nur früh genug damit anfangen. Für Kinder ist das multikulturelle Zusammenleben in einer Stadt wie Berlin sowieso normal. Schade, dass die Verbände nicht die nötigen Kapazitäten haben, sich mehr in die Rassismus-Diskussion einzumischen.


Dieter Wagner, Leiter Basketballabteilung beim IdS-Stützpunktverein TUS Neukölln

Betreff: Persönliche Wahrnehmung

Ich habe das Buch nicht gelesen und die Debatte zu den Thesen von Sarrazin nicht bewusst verfolgt. Deshalb kann ich mich dazu nicht äußern. Bei uns ist die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund aber auch nie ein ein besonderes Thema gewesen, sondern immer eine Selbstverständlichkeit, über die man nicht reden muss. Außerdem lassen die Arbeit als Trainer und die organisatorischen Aufgaben als Vorstandsmitglied gar keine Diskussionen mit Kollegen über gesellschaftspolitische Themen zu. Insgesamt glaube ich, dass der Prozess der Integration in den Sport nicht darunter gelitten hat.

Betreff: Einfluss im Vereinsumfeld

Oberflächlich betrachtet wurde unsere Vereinsarbeit durch das Buch von Sarrazin und die dadurch ausgelöste Debatte überhaupt nicht beeinflusst. Natürlich hat sich in den 35 Jahren des Bestehens der Abteilung vieles verändert, auch das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund. Aber das liegt zum Teil an Neukölln, bei vielen unserer Gegner aus anderen Stadtteilen ist das anders. Ich bin auch als Trainer einer Jugendmannschaft, die ausschließlich aus Kindern mit Migrationshintergrund besteht, von Elternseite nie zum Thema Sarrazin oder aktuell zum Thema rechtsextreme Anschlagserie angesprochen worden. Zu unseren Spielen kommen viele Mütter, die einen mit Kopftuch, die anderen ohne, die einen sprechen Deutsch, die anderen weniger. Wir unterhalten uns häufig, aber nur über private Dinge. 


Julia Sandmann, Programmleiterin IdS beim Landessportverband Baden-Württemberg
 

Betreff: Persönliche Wahrnehmung

Das Buch habe ich weder gelesen noch habe ich einen Blick hineingeworfen. Die damalige Debatte habe ich natürlich in den Medien verfolgt und wir haben uns im Kollegenkreis dazu ausgetauscht. Geld dafür ausgeben und damit die Verkaufszahlen steigern, wollte ich aber nicht. 

Betreff: Einfluss im Vereinsumfeld

Von der Basis haben wir kaum Rückmeldungen zu der Debatte bekommen. Ich habe den Eindruck, dass das Buch von den Menschen aus der Zielgruppe weitgehend ignoriert wurde. In der medialen Berichterstattung entsteht bei mir der Eindruck, dass sich immer häufiger auf Negativbeispiele gestürzt wird und dabei der Migrationshintergrund der Beteiligten in den Vordergrund gerückt wird. Das war jedoch bereits vor der Veröffentlichung des Buches so und hat sich vielleicht etwas verstärkt. Auf der anderen Seite sind seither viele Initiativen oder gar ein Integrationsministerium in Baden-Württemberg eingerichtet worden, die sich gezielt für einen konstruktiven wie lösungsorientierten Umgang mit Fremdheit einsetzen. Letztlich sehe ich unsere Arbeit durch das Buch und die Debatte nicht beeinflusst.


  • Ein Jahr nach der Sarrazin-Debatte scheint Normalität zurückgekehrt zu sein. (Foto: picture-alliance)
    Ein Jahr nach der Sarrazin-Debatte scheint Normalität zurückgekehrt zu sein. (Foto: picture-alliance)