„Weltmeister werden, das ging nur in diesem Verein“

Er holte Deutschlands ersten ganz großen Taekwondo-Titel nach 18 Jahren: Tahir Güleç, 21, über die Folgen des Erfolgs, das Training mit seinem Onkel und das Essen mit einem „coolen Typ“.

Tahir Güleç will Vorbild sein, das konnte man vor einem Jahr beim Empfang für den Weltmeister und seine mit WM-Bronze dekorierte Schwester Rabia in Nürnberg sehen (Bild: Taekwondo Özer)
Tahir Güleç will Vorbild sein, das konnte man vor einem Jahr beim Empfang für den Weltmeister und seine mit WM-Bronze dekorierte Schwester Rabia in Nürnberg sehen (Bild: Taekwondo Özer)

Sie sind  2013 in Mexiko Weltmeister geworden, als erster Deutscher seit 1995. Hat der Titel Ihr Leben verändert?

In einer Hinsicht schon, in anderer Hinsicht nicht. Ich bin ganz normal geblieben, nicht irgendwie abgehoben, das sagen auch die Leute um mich herum: Du bist der Gleiche wie vorher, seitdem Du Weltmeister geworden und mehr in den Medien bist.

Ist das die andere Hinsicht, sprich die Veränderung: Es gibt mehr Journalistenanfragen, einen gewissen Rummel um Ihre Person?

Vor allem nach der WM war viel los. Die Presse kam oft zu mir, und einige Leute haben mich plötzlich „Champ“ genannt. Das ist immer noch so, und ich gebe auch insgesamt mehr Interviews als früher. Aber ansonsten kann man nicht von Rummel sprechen, glaube ich.

Denken Sie manchmal darüber nach, was Ihnen ein WM-Titel gebracht hätte, wenn Sie ihn für die Türkei erkämpft hätten?

Darüber mache ich mir keinen Kopf. In der Türkei machen zwar viel mehr Leute meinen Sport als in Deutschland, und es leben auch mehr davon und wollen damit etwas erreichen, genauso wie im Ringen oder Boxen. Aber ich habe in Deutschland mit Taekwondo angefangen, verdiene hier mein Geld und sehe hier auch meine Zukunft.

Kann man daraus schließen, dass Sie sich eher als Deutscher als als Türke fühlen?

Nein. Ich fühle mich mehr als Türke, das liegt daran, dass meine beiden Eltern Türken sind. Aber ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, Nürnberg ist mein Zuhause. Ich habe keine sehr starke Beziehung zur Türkei als Land. Ich könnte mir nicht vorstellen, dort zu leben.

Eine türkische Identität, aber an Deutschland gebunden?

Ja.

Ist es besonders befriedigend, wenn man Weltmeister wird, obwohl Taekwondo in vielen anderen Ländern weitaus populärer ist?

Ich bin auf jeden Fall sehr stolz, den Titel errungen zu haben. Man muss unheimlich hart arbeiten dafür, und in Ländern wie der Türkei sind die Bedingungen schon etwas anders als hier. Es hatte auch keiner damit gerechnet, dass ich Weltmeister werde, als erster Deutscher nach so langer Zeit. Aber ich wusste, dass ich es schaffen kann, und ich habe es geschafft, auch dank meines Vereins. 

Ihr Verein ist der von Ihrem Onkel gegründete Taekwondo Özer in Nürnberg, ein Stützpunkt des DOSB-Programms „Integration durch Sport“. Würden Sie sagen, Sie hätten auch woanders Weltmeister werden können?

Auf keinen Fall, das ging nur hier. Mein Onkel trainiert mich ja, seit ich ein Kind bin. Er weiß genau, was ich brauche und hat immer an mich geglaubt. Zum Beispiel nach der Jugend-WM 2010, auch in Mexiko, als ich das Finale im Sudden Death gegen einen Türken verloren habe. Danach haben wir richtig hart gearbeitet. Vor dem WM-Finale im letzten Jahr haben wir ganz genau die Taktik besprochen, und es hat geklappt. Auch der Rest vom Verein und die Kollegen im Nationalteam haben immer hinter mir gestanden. 

Taekwondo soll auch den Geist schulen. Was hat Ihnen Ihr Onkel, Ihr Verein in dieser Hinsicht vermittelt?

Dass Schule total wichtig ist, zum Beispiel. Wir haben viele Nationalkadermitglieder in unserem Verein, die Abitur machen, studieren oder wie ich direkt nach der Schule zur Bundeswehrsportfördergruppe gehen und Soldaten werden. Schule und Ausbildung zählen genauso viel wie der Sport, das lernen wir hier.

Vor einigen Wochen hatte der Bundesstützpunkt Nürnberg Besuch vom DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann. Was bedeutet das in einer Sportart, die so selten im Mittelpunkt steht?

Das war wirklich eine ganz große Ehre für uns. Wir waren alle total aufgeregt, dass so ein Mann zu uns kommt und unser Training anschaut. Ich selbst hatte ihn schon vorher in Hamburg kennengelernt, als er die German Open besucht hat. Da waren wir abends auch zusammen Essen.  

 

Respekt, Talent, zwei Pässe

Ein unerhört höflicher junger Mann, das ist der Eindruck, den man von Tahir Güleç, Jahrgang 1993, im Gespräch gewinnt. Auf der Matte ist dieser junge Mann ein großer Kämpfer, der mit Fuß- (Tae) und Handtechnik (Kwon) seinen Weg (Do) macht. Vor allem in Mexiko erreichte er bisher hohe Ziele, dort holte er 2010 Silber bei der Junioren-WM, war Teilnehmer bei den Olympischen Jugendspielen im gleichen Jahr in Singapur und wurde im Juli 2013 Weltmeister der Senioren bis 80 Kilo. Der gebürtige Franke, Inhaber eines deutschen und eines türkischen Passes, ist der Bruder von Rabia Güleç und Sümeyye Manz sowie Schwager und Trainingspartner von Daniel Manz. Auch sie sind  Weltklasse und mehren den Ruhm ihres Vereins: Taekwondo Özer, von Tahirs Onkel Özer Güleç in Nürnberg Südstadt gegründet, hat den Ruf einer Talentschmiede mit ausgeprägt sozialem Instinkt (siehe Opens external link in new windowPorträt).


 

Worüber haben Sie sich unterhalten?

Über die WM in Mexiko, wie oft ich trainiere und wie es im Moment so läuft. Das hat schon Spaß gemacht, er ist ein cooler Typ.

Was „im Moment“ angeht: Sie haben den ersten Platz in der Weltrangliste verloren, über die man sich für die Olympischen Spiele qualifiziert. Wie stehen Ihre Chancen, in Rio dabei zu sein?

Zurzeit bin ich Fünfter, wenn es so bleibt, reicht es also. Ich hatte ziemlich Pech nach der WM. Erst war ich einige Wochen krank, dann habe ich mir im Februar bei einem Turnier in Schweden das Handgelenk gebrochen. Ich konnte nicht zum Finale antreten, für das ich mich qualifiziert hatte, und fiel nochmal zwei Monate aus. In der Zeit waren vier große Turniere, bei denen ich keine Punkte bekommen konnte, darunter die German Open in Hamburg. Aber ich arbeite daran, mich zurückzukämpfen und wieder weiter nach oben zu kommen.

Wenn Sie 2016 Olympiasieger würden: Glauben Sie, das könnte Sie zu einer Art Star machen?

Das ist schwer zu sagen für mich, das müsste man abwarten. Aber über so etwas mache ich mir eigentlich keine Gedanken. Es geht für mich einfach darum, gut zu trainieren und Erfolge zu haben, um ein großes Vorbild zu sein.

Für wen genau: den Vereinsnachwuchs, für junge Taekwondoka mit Migrationshintergrund?

Nein, nicht für bestimmte Kinder. Für alle.

Interview: Nicolas Richter

 


  • Tahir Güleç will Vorbild sein, das konnte man vor einem Jahr beim Empfang für den Weltmeister und seine mit WM-Bronze dekorierte Schwester Rabia in Nürnberg sehen (Bild: Taekwondo Özer)
    Tahir Güleç will Vorbild sein, das konnte man vor einem Jahr beim Empfang für den Weltmeister und seine mit WM-Bronze dekorierte Schwester Rabia in Nürnberg sehen (Bild: Taekwondo Özer)