Willkommen am Ball für alle Nationen

Integration durch Sport findet in Deutschland schon lange statt,

hat aber mit dem starken Zustrom von Asylsuchenden neue

Bedeutung erlangt, der die Sportvereine gerecht werden wollen.

Sport fördert die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und stärkt das Miteinanderr von Zugewanderten und Einheimischen. Foto: Landessportbund NRW Bilddatenbank
Sport fördert die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und stärkt das Miteinanderr von Zugewanderten und Einheimischen. Foto: Landessportbund NRW Bilddatenbank

Diese sportliche Aktivität ist nicht sehr bekannt, obwohl sich die Sportakteure landauf, landab täglich darin üben. Ein Laie mag sie für neu halten, als Reaktion auf die vielzitierte „Flüchtlingskrise“. Doch das wäre ein Irrtum. Diese Aktivität namens „Integration durch Sport“ wird ungezielt und en passant seit ewigen Zeiten betrieben und systematisch auch schon seit 1989: im Rahmen eines gleichnamigen Programms des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Richtig ist: Nie war die integrative Kraft des Sports in Deutschland stärker gefordert als heute - zumal im kulturellen Schmelztiegel Nordrhein-Westfalen. Worin liegt besagte Kraft? Der Sport - sprich: die gemeinsame Bewegung, das Training in der Gruppe, das Spielen in Teams – löst kulturelle oder soziale Unterschiede nicht auf. Aber er lässt diese Unterschiede in den Hintergrund treten. Denn egal woher die Einzelnen kommen: Sie folgen denselben Regeln und Zielen, teilen Freude an Leistung und Spaß am Laufen oder Rudern, an Fußball oder Faustball. Und wo niemand die Sprache der anderen sprechen muss, um mitzumachen, lernen er oder sie diese Sprache spielerisch, wenn sie am Ball bleiben. Praktisch heißt das: Echte gesellschaftliche Integration gelingt nicht durch Sport allein. Aber der Sport kann sie rasch in Gang und weit voran bringen.

Neues Programm

Auf diese Erkenntnis baut neben dem DOSB-Programm „Integration durch Sport“ (IdS) auch dessen jüngere Schwester „Willkommen im Sport“ (WiS) auf. Während WiS gezielt Geflüchtete anspricht, fördert IdS nicht nur die Integration von Menschen mit Migrationsgeschichte allgemein, sondern auch die interkulturelle Öffnung des Sports. Vom Bundesinnenministerium finanziert und wissenschaftlich begleitet, wird IdS operativ durch Teams in den 16 Landessportbünden und -verbänden gelenkt. „Willkommen im Sport“ funktioniert ähnlich. Das im Herbst 2015 in 13 Bundesländern begonnene Projekt ist ein Hinweis darauf, wie die Ankunft Hunderttausender auch den organisierten Sport herausfordert und bewegt. Ohnehin integrativ arbeitende Vereine haben ihr Engagement erweitert und vertieft. Das zeigen zwei denkbar unterschiedliche Beispiele aus NRW.

Schwimmen zieht

Der Postsportverein Bonn hat neun Abteilungen mit 900 Mitgliedern plus 800 Kursteilnehmende, das Gros im Schwimmen. Er ist langjähriger IdS-Stützpunkt und wurde 2015 WiS-Partner, was viel mit Katja Brender zu tun hat. Die Studentin und lizenzierte Übungsleiterin, die sich für Geflüchtete engagiert, kam 2014 zum PSV, als Mitarbeiterin für Integration, Inklusion und Mitgliederservice. Sie betreut die WiS-Kooperation, die zwei gut besuchte Schwimmkurse hervorgebracht hat: einen für Geflüchtete allgemein, den primär junge Männer wahrnehmen, und einen für Kinder. Die Hoffnung, dass sich zudem die 2010
gegründete Gruppe für zugewanderte Frauen und Mädchen erheblich vergrößern würde, erfüllte sich nicht. Nur eine Geflüchtete schloss sich an. Dies war eigentlich klar, wie Brender heute weiß: „Das Angebot ist nachmittags, da können viele Flüchtlingsfrauen nicht.“ Etwa weil sie an einem Sprachkursus teilnehmen.

Bedarfsanalyse

Alles andere läuft rund. Laut Brender hat der Postsportverein Bonn rund 150 geflüchtete Teilnehmende gewonnen, die vom Vereinsbeitrag befreit sind. Allein jedes der vier zusätzlichen Fußballangebote pro Woche hat bis zu 40 Aktive, darunter jeweils etwa 15 Stammkräfte. Einige von ihnen besitzen inzwischen die Übungsleiterlizenz und übernehmen bei Bedarf die Aufsicht. In Kooperation mit Schulen sind zudem diverse Arbeitsgemeinschaften für geflohene Jungen und Mädchen im Entstehen begriffen. Ertrag kommt von Aufwand, auch in Bonn. Das Interesse an Fußball, Schwimmen und Fitness haben Katja Brender und Co. „durch Bedarfsanalyse in Flüchtlingsunterkünften“ ermittelt, sagt sie. Klare Sieger: Fußball, Schwimmen und Fitness. Mit WiS-Unterstützung organisierte der Verein daraufhin die neuen Angebote, für die Brender und ihre Mitstreiter/innen persönlich Werbung machten: in einer schwimmbad- und sportplatznahen Unterkunft sowie mithilfe eines sprachlich vermittelnden Bewohners - das IdS-Prinzip des Brückenbaus. Heute leistet ein anerkannter Asylbewerber Bundesfreiwilligendienst beim PSV, er übersetzt oder besucht eine der sieben Einrichtungen für Geflüchtete, in denen der Verein regelmäßig präsent ist.

Vorsitzender als Vorbild

Vom Brückenbauen muss man Ali Pish Been nichts erzählen: Es ist die Basis seines Erfolges. Der Iraner kam neunjährig nach Steinfurt - als politisch Verfolgter und neben seinen Eltern einziger Perser am Ort. Über Jahre war unklar, ob er würde bleiben können. „Das Thema Integration bewegt mich extrem, weil ich am eigenen Leib erfahren habe, was dieser Prozess bedeutet“, sagt der Gründer des FC Galaxy Steinfurt 2013. Zentrales Ziel des Fußballvereins: Menschen mit und ohne Migrationserfahrung zusammenführen. Zentrale Zielgruppe: ältere Jugendliche. „Um diese Jungs und auch Mädchen zu erreichen, ist Sport toll. Sie sind sozial verankert, aber nur unter Menschen aus ihrem Kulturkreis. Im Verein lernen sie, über den Tellerrand zu schauen“, sagt der 27-Jährige, der auch Vizepräsident des Kreissportbundes ist. Zu Beginn waren Geflüchtete kein großes Thema am Steinfurter IdS-Stützpunkt. Aber sie wurden es bald. Heute stellen sie die Mehrheit der rund 50 Teilnehmenden am offenen Training und fast die Hälfte der aus ihnen rekrutierten zweiten Mannschaft. Ein paar haben es sogar ins erste Team geschafft.

Bunte Mischung

Der Rest der etwa 120 FC-Mitglieder - Geflüchtete und sozial Benachteiligte sind beitragsfrei - besteht zu etwa gleichen Teilen aus Zugewanderten und Einheimischen. Die bunte biografische Mischung hält Pish Been für entscheidend. So lernen alle alles kennen und Geflüchtete haben unterschiedliche Orientierungspunkte. Auch natürlich ihn, das direkte Vorbild: „Du warst einer wie wir und hast jetzt einen eigenen Sportverein“, zitiert er ihre Sicht. Gerade jungen Migrant(-inn)en will er vermitteln, dass Integration in und durch den Sport Disziplin braucht und vor allem Sprachkompetenz. Wer der zweiten Mannschaft angehören will, muss beim FC einen Deutschkursus belegen. Zugleich hilft der Verein bei der - gerade für Asylbewerber/innen schwierigen - Suche nach einem Arbeitsplatz. In vier Fällen führte dies zum Ziel. Ohnehin sprechen die Zahlen für das Steinfurter Integrationskonzept. Unter den Vereinsengagierten jedweder Herkunft sind auch sechs Geflüchtete, und manches neue Mitglied radelt bis zu 15 Kilometer, um zum Training zu kommen.

(Quelle: Städte- und Gemeinderat, Zeitschrift 7-8/2016, Herausgeber Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen. Text: Nicolas Richter)


  • Sport fördert die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und stärkt das Miteinanderr von Zugewanderten und Einheimischen. Foto: Landessportbund NRW Bilddatenbank
    Sport fördert die Integration von Menschen mit Migrationshintergrund und stärkt das Miteinanderr von Zugewanderten und Einheimischen. Foto: Landessportbund NRW Bilddatenbank