„Das erlebt man nur bei uns“

Peter Guttmann, Präsident von Makkabi Deutschland, über Besonderheiten jüdischer Sportvereine, Traditionspflege der offenen Art und Konflikte auf dem Fußballplatz.

Foto: Privat
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2015 finden die Europäischen Maccabi Spiele 2015 in Berlin statt. Ist das für Sie in erster Linie ein sportliches, ein gesellschaftliches oder ein politisches Ereignis?

Es ist alles zugleich, das lässt sich schwer trennen. Für mich ist es aber vor allem ein historisches Ereignis, das erste jüdische Sportgroßevent in Deutschland nach dem Krieg. Und es ist ein Signal nach außen und innen.

 

Inwiefern nach innen?

Die Vergabe war keine einstimmige Entscheidung, und auch bei Makkabi Deutschland haben sich einige gegen diese Veranstaltung ausgesprochen, solange es in Deutschland Überlebende des Holocaust gibt. Die Mehrheit bei uns und der European Maccabi Confederation (EMC) sieht die Zeit aber als reif. Natürlich kennen wir die Umfragen, die auf antisemitische Ressentiments bei vielen Deutschen hinweisen, und auch unsere Vereine erleben sie im Alltag immer wieder. Aber die große Mehrheit in Deutschland ist anders, offen und tolerant, gerade die Jugend. Und eben weil der Nationalsozialismus alles Jüdische vernichten wollte, setzt so ein Ereignis ein Zeichen, dass wir hier leben und unsere Traditionen pflegen.

Wie geht das Pflegen der Tradition mit dem integrativen Anspruch von Makkabi Deutschland zusammen?

In unseren Vereinen treiben Menschen verschiedener Religionen und Kulturen ganz selbstverständlich miteinander Sport. Da muss man keine großen Reden halten, das wird einfach gelebt. In vielen Makkabi-Vereinen gibt es hohe Anteile von Nichtjuden, Muslime inklusive.

„Da hat echte Integration stattgefunden“

Das klingt löblich, aber nicht speziell. Was ist mit dem jüdischen Moment?

Wir berücksichtigen durchaus unsere Religion. Dazu gehört zum Beispiel, dass unsere Vereine an jüdischen Feiertagen keine Punktspiele bestreiten müssen, das ist mit den Fachverbänden vereinbart. So ein Umfeld erleichtert einem Juden das Sporttreiben – in anderen Vereinen müsste er an Feiertagen jedes Mal erklären, dass er heute leider nicht spielen kann. Wobei die jüdische Religion natürlich extrem mannigfaltig gelebt wird: Das geht vom Orthodoxen, der an Shabbat kein Auto fährt, bis zum ganz Liberalen, der höchstens einmal im Jahr in die Synagoge geht, an Jom Kippur, dem höchsten Feiertag.

Die große Mehrheit der Juden in Deutschland ist ab den 90er Jahren aus früheren Sowjetrepubliken zugewandert. Wie hat das die Vereine und den Dachverband verändert?

Da hat eine echte Integration stattgefunden. Früher, am Anfang, sind die Zuwanderer in den Vereinen meistens unter sich geblieben und haben nur Russisch gesprochen. Heute gibt es bei Makkabi Deutschland mindestens 60 Prozent Zuwandererkinder, aber deren Herkunft spielt keine Rolle mehr. Alle sprechen selbstverständlich Deutsch und gehen auch so miteinander um, als in Deutschland lebende Juden.

Hat die jüdische Identität in der zweiten Zuwanderergeneration tatsächlich noch solches Gewicht, dass man sich tendenziell einem Makkabi-Verein anschließt?

Meinem Eindruck nach ja. Das hat viel mit Mund-zu-Mund-Propaganda zu tun. Wer bei Makkabi gelandet ist, wird erzählen, dass das Spaß macht und es Auswahlteams gibt, mit denen man zu Wettkämpfen fahren kann, bis hin zu Europameisterschaften oder der Maccabiah. Das sind Dinge, die man in anderen Vereinen nie erleben würde. Diese Attraktivität hat es uns auch ermöglicht, Nationalteams in neuen Sportarten aufzustellen. Wir waren bei der Maccabiah zum Beispiel mit Damenfußball und -hockey, Fechten, Schwimmen und Schießen am Start. Da hätten wir früher, ohne die Zuwanderergeneration, nie Mannschaften zusammenbekommen.

Anwalt im vollen Einsatz

 Der Münchner Rechtsanwalt Peter Guttmann ist seit 1977 bei Makkabi Deutschland tätig.   2009 wurde er als Nachfolger von George Osterer zum Präsidenten des Verbandes gewählt. Zudem gehört der frühere Fußballer, Jahrgang 1953, dem Vorstand der israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern an und ist im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland vertreten.

 

Ausfälle fast nur im Fußball

Im Alltag gibt es aber die von ihnen erwähnten Konflikte, und zwar wohl häufiger mit Muslimen als mit Alt- oder Neonazis. Was tut Makkabi Deutschland, um dem entgegenzuwirken?

Das Problem trifft direkt die Lokalvereine, sie müssen also in erster Linie darauf reagieren. Wenn es zu antisemitischen Vorfällen kommt, ist das aber nicht nur für die lokalen Medien ein Thema, sondern auch für die Verbände, bis hin zum DFB und zum Zentralrat (der Juden in Deutschland, d. Red.). In der Regel wird die Angelegenheit beim zuständigen Verband aufgearbeitet, um die Dinge abzuklären und Wiederholungen zu vermeiden. Aufklärung tut Not, da sind wir alle gefordert. Wir als Makkabi Deutschland sind zum Beispiel auch in einer Organisation namens „Nie Wieder“ aktiv.

Was tut diese Organisation?

Dahinter steht ein Diakon der Dachauer Versöhnungskirche, der sich vor allem im Fußball engagiert, um Kulturen an einen Tisch zu holen und Vorurteile abzubauen. Er hat 2004 die „Initiative Erinnerungstag im Deutschen Fußball“ gegründet. Das 10-jährige Bestehen wird im Januar 2014 gefeiert, unter Beteiligung das DFB, der DFL und von Makkabi Deutschland.

Diskriminierung und Aggression gegen Juden scheinen weitgehend auf Fußball beschränkt. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich kenne tatsächlich keinen Fall einer anderen Sportart, in dem Gegenspieler oder das Publikum antisemitische Äußerungen von sich gegeben haben. Die Gründe diskutieren wir immer wieder. Wenn man es sich einfach machen wollte, könnte man sagen, Fußball ist der Sport der geringer Gebildeten, aber das stimmt ja nicht. Fakt ist, dass der Fußball auch andere Probleme in die Öffentlichkeit bringt, sei es Homophobie oder Aggressionen gegenüber Schiedsrichtern. Eventuell hängt es mit der im Fußball besonders großen Emotionalität zusammen, aber auch das ist nur eine Vermutung.

Das Interview führte Nicolas Richter


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