„Der Sport soll die Jugendlichen schützen“

Mit „Schicht im Schacht“ betreibt die Islamische Gemeinde Nürnberg (IGN) ein Integrationsprojekt besonderer Art. Wie das Gespräch mit den IGN-Vertretern Mostafa Eljojo und Hamed Ktari zeigt.

Mostafa Eljojo (links) und Hamed Ktari (Quelle: Eljojo Mostafa)
Mostafa Eljojo (links) und Hamed Ktari (Quelle: Eljojo Mostafa)

Ein Aufzugsschacht als Kletterwand: Wie kommt man auf so eine Idee?

Hamed Ktari: Wir machen seit 2011 gezielte Jugendarbeit, mit Unterstützung des Programms Integration durch Sport. Wir waren uns damals einig, dass es einen Treffpunkt für die Jugendlichen geben sollte, und haben uns den damaligen Lebensmittelladen angeschaut. Darin gibt es diesen Aufzugsschacht, aber da war auf jeder Etage eine Decke eingezogen, der unterste Teil wurde nur als Abstellkammer genutzt. Ich habe gedacht: Wenn das ein attraktiver Jugendraum werden soll, dann braucht man etwas Besonderes. Und weil ich in meiner Arbeit für Integration durch Sport erlebt habe, wie viele Jugendliche begeistert sind vom Klettern, dachte ich: Warum machen wir da nicht eine Kletterwand?

Mostafa Eljojo: Der Raum hat ungefähr 80 Quadratmeter. Die Jugendliche können da vieles machen, nicht nur klettern.

Anfang November wurde das Projekt „Schicht im Schacht“ offiziell eröffnet. Wie ist die Stimmung: noch Aufbruch oder schon Alltag?

Ktari: Man merkt eine Euphorie, nicht nur bei den Nutzern der Kletterwand, sondern bei allen, die sie entdecken. Man sieht sie ja gar nicht, wenn man in die Moschee kommt, aber dann hängen da die Bilder von der Eröffnung und die Zeitungsberichte und man staunt. Das große Medienecho war übrigens sehr schön für die Gemeindemitglieder, die Jugendlichen und alle anderen Beteiligten.

Wenn Sie 2011 mit gezielter Jugendarbeit begonnen haben: Was war der Anlass?

Ktari: Wir wollen mehr Kinder und Jugendliche dazu bewegen, sich zu engagieren, in der Gemeinde und auch in der Gesellschaft. Ich glaube es ist wichtig, dieser Generation Beschäftigung zu geben und zu zeigen, dass Verantwortung etwas Positives ist. Unsere Sorge ist, dass sie sonst auf falsche Ideen kommen – der Sport soll sie ein Stück weit schützen. Deshalb haben wir in der Arabischen Schule eine Sportstunde eingeführt und zum Beispiel Fußballturniere in einer Schulsporthalle veranstaltet, für die Kinder der Gemeinde und die der Nachbarschaft.

Eljojo: Die Arabische Schule findet an Samstagen statt. Es gibt unter anderem Arabisch-Unterricht und eben auch eine Sportstunde. Wir hatten im letzten Jahre eine Minitrainer-Ausbildung in der Gemeinde. Die Teilnehmer leiten jetzt die Sportstunden.

Ktari: Das muss man vielleicht erklären: Die Minitrainerausbildung wurde von Mark Sauerborn eingeführt (IdS-Regionalkoordinator, Anm. d. Red.) und dauert drei Tage. Minitrainer sollen Schulen und Vereinen helfen, die Trainerassistenten suchen und keine Fachkräfte haben. An unserem Kurs haben ungefähr zwölf Jugendliche teilgenommen.

 

Islamisch und international

Die Islamische Gemeinde Nürnberg (IGN) hat rund 100 aktive Mitglieder, zu den Freitagsgebeten kommen über 400 Menschen. Sie ist die einzige internationale Einrichtung ihrer Art in Nürnberg – andere Islamische Gemeinden der Stadt sind beispielsweise türkisch, bosnisch oder pakistanisch.

Mostafa Eljojo, 1968 im palästinensischen Gaza-Streifen geboren, kam 1987 zum Studium (der Elektrotechnik) nach Deutschland und ist seit 2000 in der IGN aktiv, seit 2005 als Kassenwart und Vorstandsmitglied. Als Mann einer Italienerin besitzt der Diplom-Ingenieur deren Staatsangehörigkeit. Hamed Ktari, seit 2009 Mitarbeiter von „Integration durch Sport“, lebte von seiner Geburt im Jahr 1982 bis 2003 in Tunesien. Dann ging der einstige Volleyball-Juniorennationalspieler nach München, studierte Maschinenbau und zog 2007 nach Nürnberg. Er leitet die Sportangebote der IGN und auch das Projekt „Schicht im Schacht“ (siehe Thema des Monats).

 

Zustieg für jugendliche Musliminnen?

War Sport früher kein Thema in der IGN?

Eljojo: Doch. Wir haben früher verschiedene Kurse angeboten, zum Beispiel im Turnen. Aber das war nichts Konstantes. Seit der Zusammenarbeit mit Integration durch Sport ist alles, sagen wir, regelmäßig.

Und erreichen Sie tatsächlich mehr junge Menschen?

Eljojo: Ja. Wir haben in der Arabischen Schule über 200 Kinder, aber Jugendliche kamen früher nicht so oft – solche Gruppen wie in der Minitrainer-Ausbildung gab es da gar nicht. Durch den Sport ist das mehr geworden.

Ktari: Die Kletterwand ist die nächste Stufe: ein beständiges Angebot, bei dem die Jugendlichen selbst die Verantwortung übernehmen. Die Minitrainer zum Beispiel können jetzt auch einen Sportkletterschein machen. Der DAV wird eine fünftägige Ausbildung bei uns machen.

Die Beteiligung muslimischer Mädchen am Sport wird oft und heiß diskutiert. Wie sieht sie bei Ihnen aus?

Eljojo: In der arabischen Schule gibt es gemischte Klassen, auch im Sportunterricht. Aber das sind vorwiegend Kinder, die meisten Schüler sind zwischen fünf und zwölf Jahre, nur ein paar sind älter.

Ktari: Jugendliche Musliminnen machen nicht viel Sport wie die Jungs, sie klettern auch weniger. Aber wir haben vor einiger Zeit mal einen Kletterkurs für Mädchen gemacht, als Anreiz für unser Sportangebot. Wir hoffen, dass einige Teilnehmerinnen jetzt den Schein machen und dann selbst Mädchengruppen betreuen.

Die einen schwitzen, die anderen beten

Die Kletterwand soll auch Außenstehende ansprechen. Tut sich da schon was?

Ktari: Gerade habe ich erfahren, dass es bei  Mark Sauerborn eine Anfrage gibt für eine Mädchengruppe, die regelmäßig bei uns klettern will.  Vielleicht könnte das auch einige Mädchen von uns motivieren, die sich jetzt noch nicht trauen.

Eljojo: Unser Ziel ist es, Berührungsängste zwischen Muslimen und Nichtmuslimen abzubauen, und das geht nur, wenn man sich näher kommt. Der Raum mit der Kletterwand liegt im Eingangsbereich, das heißt, er ist der Öffentlichkeit zugänglich. Wir wollen eben nicht nur die betenden Besucher erreichen – eine Moschee ist ein religiöser, aber auch ein sozialer Ort. Angehörige anderer Glaubensrichtungen können bei uns Sport treiben, während wir auf der anderen Seite beten.

Der Sport öffnet die Moschee nach außen?

Eljojo: So kann man das nicht sagen. Wir konzentrieren uns seit Gründung der Gemeinde  2005 auf Öffentlichkeitsarbeit und Austausch. Ich glaube, wir sind die größte Islamische Gemeinde in Bayern, die Moscheeführungen anbietet, jedes Jahr besuchen uns 1000 bis 2000 Schüler und Studenten.

Und umgekehrt? Wie sind die Gemeinde und die Moschee in der Nachbarschaft akzeptiert?

Eljojo: Da gibt es keine Probleme. Wir haben uns schon an vielen Projekten beteiligt, zum Beispiel an Straßenfesten, und Deutschkurse angeboten. Dialog ist für uns wirklich wichtig.

Und für die Nachbarschaft? Zum Dialog gehören zwei.

Ktari: Da möchte ich kurz was erzählen: Als wir am Schacht gearbeitet haben, das war vor den Bundestagswahlen. Einmal gab es vor der Moschee eine Demonstration „Pro Deutschland“. An dem Tag hat die Islamische Gemeinde einen Schatz entdeckt, nämlich den Zusammenhalt mit den Nachbarn, die sich gegen die Demonstration gewehrt haben. Man fürchtet Menschen, die andere Menschen ausschließen wollen, aber zugleich macht es Hoffnung, wenn einen so viele ermutigen, sich nicht zu verstecken. Mit der Kletterwand wollen wir weiteres Vertrauen aufbauen, allgemein und konkret, bei den Nutzern.  Vertrauen ist ja wichtig bei diesem Sport.

Eljojo: Das Verhältnis ist gut, so etwas passiert nur in bestimmten politischen Momenten. Wobei noch etwas ganz wichtig ist: Bei uns findet Integration immer statt, jeden Tag. Wir sind ja die einzige internationale Islamische Gemeinde in Nürnberg, zu uns kommen Menschen aus über 40 Ländern. Da gibt es manchmal unterschiedliche Vorstellungen,  deshalb gibt es bei uns klare Regeln. Was uns aber vor allem verbindet, ist das gemeinsame Beten, die deutsche Sprache und jetzt ein bisschen das Klettern.

(Interview: Nicolas Richter)


  • Mostafa Eljojo (links) und Hamed Ktari (Quelle: Eljojo Mostafa)
    Mostafa Eljojo (links) und Hamed Ktari (Quelle: Eljojo Mostafa)